zum Jahr der Orden
Papst Franziskus hat drei Jubiläen zum Anlass genommen, am 1. Advent ein „Jahr des Gott geweihten Lebens“ auszurufen. Diese drei Jubiläen sind: Der 500. Geburtstag der heiligen Teresa von Avila am 28. März 2015, der 200. Geburtstag des heiligen Johannes (Giovanni) Bosco, bekannt als Don Bosco am 16. August. Und schließlich erinnert die Ordensfamilie der Franziskaner im Oktober an die Wallfahrt des heiligen Franz von Assisi von Italien nach Santiago de Compostela vor 800 Jahren. Wenn wir diese Thematik hier aufgreifen, ist es uns wichtig zu zeigen, dass die als Spezifikum für Ordensleute verstandenen sog. evangelischen Räte für alle Christen Bedeutung haben.
Im Geist der evangelischen Räte leben
Reinhard Körner OCD
Das Neue Testament kennt viele „Räte“. Mancher gute Rat geht auf Jesus selbst zurück, andere, wie die des Apostels Paulus, stammen aus der Erfahrung mit dem Evangelium Jesu in der Frühzeit der
Kirche.
Ein Beispiel: Obwohl gegen das Schwören grundsätzlich nichts einzuwenden ist, rät Jesus, es am besten ganz zu lassen. „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein“, sagt er in der Bergpredigt (s. Mt
5,33-37). Matthäus hat dort gleich mehrere Ratschläge Jesu überliefert, so auch diesen: „Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut. Dein Almosen soll
verborgen bleiben …“ (Mt 6,3f). Oder an anderer Stelle im selben Evangelium: „Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen“ – was zwar kein guter Rat wäre, würde man ihn gegenüber dem
leiblichen Vater anwenden, was aber im Verhältnis zu so mancher „Vaterfigur“ durchaus Sinn macht; denn: „Nur einer ist euer Vater, der im Himmel“ (Mt 23,9). Und ein Beispiel aus dem Mund des
Paulus: „Prüft alles und behaltet das Gute!“ (1 Thess 5,21), ein Rat, den uns mit noch deutlicheren Worten auch der Autor des Ersten Johannesbriefes ans Herz legt: „Liebe Brüder und Schwestern,
traut nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind“ (1 Joh 4,1). – Eine vollständige Auflistung der „vielfachen Räte“, wie das Zweite Vatikanische Konzil sich ausdrückt (LG
42), wäre sehr lang …
Einige Theologen der ersten Jahrhunderte – genannt seien Tertullian, Origenes, Cyprian und Ambrosius – unterschieden diese Ratschläge bewusst von den Geboten: Gebote, allen voran das Hauptgebot
der Gottes- und der Nächstenliebe, haben verbindlichen Charakter; Räte dagegen, so sagten sie mit dem Verfasser der „Zwölfapostellehre“ (geschrieben um das Jahr 90), sollten beachtet werden
„soweit du es fertigbringst“ und „wie du es kannst“ (Did 6,2). Leider sind später aus dieser durchaus hilfreichen Unterscheidung zwei verschiedene Wege gemacht worden: der „Weg der Gebote“, der
für alle Christen gelte, und der „Weg der Räte“, den nur diejenigen zu gehen hätten, die „nach Vollkommenheit streben“.
Unter die „vielfachen Räte“ im Neuen Testament wird auch der Rat, ehelos zu leben, gezählt. Ein Rat freilich, der sich nun tatsächlich nicht an alle richtet, die mit Jesus unterwegs sein wollen.
Jesus muss aber mehrfach davon gesprochen haben (s. vor allem Lk 18,29f. u. Mt 19,12), und letztlich ließ sein eigenes Leben diese Lebensform „angeraten“ sein. Auch Paulus zum Beispiel hat sie
gelebt und weiterempfohlen, doch ganz ehrlich schreibt er seinen Glaubensgeschwistern in Korinth: „Was die Frage der Ehelosigkeit angeht, so habe ich kein Gebot vom Herrn. Ich gebe euch nur einen
Rat … Bist du an eine Frau gebunden, suche dich nicht zu lösen … Heiratest du, so sündigst du nicht …“ (1 Kor 7,25-28). Dass nicht alle „Apostel“ – gemeint sind die „Glaubensboten“ der frühen
Kirche – ehelos leben wie er, stellt kein Problem für ihn dar. „Haben wir nicht das Recht“, so verteidigt er sie vor den Korinthern (1 Kor 9,5), „eine gläubige Frau (wörtlich: eine
Glaubensschwester als Ehefrau) mitzunehmen wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und wie Kephas (Petrus)?“ Jedenfalls wird es in den folgenden Jahrhunderten unter den
Glaubensverkündern, und bis zur späteren Zölibatsgesetzgebung auch unter den Priestern, immer beide geben: die ehelos lebenden wie die verheirateten.
Unter denen, die wie Paulus dem Beispiel des ehelosen Jesus folgten, gab es bald einige, die sich in die Stille abgelegener Gegenden oder in die Einsamkeit der Wüste zurückzogen. Was eremitisch
begabte Menschen schon seit Jahrhunderten taten, das wollten diese christlichen Männer und Frauen jetzt „um des Himmelreiches willen“ tun, entsprechend dem Jesuswort: „Manche sind von Geburt an
zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche haben sich selbst dazu gemacht – um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es“ (Mt 19,12).
„Um des Himmelreiches willen“, das klingt in unseren Ohren wie „um in den Himmel zu kommen“. Immer wieder wurde dieses Jesuswort auch so verstanden. Es gab sogar Zeiten in der Kirche, da glaubte
man, das ehelose Leben der Ordensleute sei der einzig sichere Weg, um nach dem Tod ins „Himmelreich“ zu kommen. Ein Vergleich aus dem Hochmittelalter sagt, das Leben des Menschen sei wie das
Überqueren eines reißenden Stromes: Von denen, die hinüber schwimmen – das sind die Laien-Christen –, erreichen nur wenige das andere Ufer. Sicherer ist das Überqueren mit einem Floß – der Weg
des Klerus, also der Priester und Bischöfe –, aber auch vom Floß ist schon so mancher heruntergefallen. Am sichersten ist der Weg über die Brücke, und diesen „vollkommenen Weg“ gehen die
Ordenschristen ...
Doch „Himmelreich“ – wörtlich: „Königtum der Himmel“ – meint im Matthäusevangelium dasselbe wie bei Markus und Lukas der Ausdruck „Königtum Gottes“, den wir meist mit „Reich Gottes“ übersetzen.
Ein ganz zentrales Wort in der Verkündigung Jesu! Und damit meint Jesus nicht einen Zustand, der erst nach dem Tod oder am Ende der Zeiten Wirklichkeit wird, sondern der jetzt schon Wirklichkeit
ist. Das Gottesreich ist „schon und noch nicht da“, wie die Theologensprache sagt: Es ist zwar noch nicht vollkommen und vollendet da – das wird es in der Tat erst „im Himmel“ sein –, aber es ist
schon da. Es ist in dem Maße jetzt schon erfahrbare Wirklichkeit, wie wir das Evangelium in uns aufnehmen, mit dem Jesus zu uns sagt: Du bist von Gott geliebt, grenzenlos, bedingungslos, noch vor
jeder Leistung und trotz aller Schuld – und: Auch du bist zur Liebe fähig! Für diese Königtum-Gottes-Wirklichkeit wollte Jesus allen, die ihm zuhörten, die Augen öffnen. Glaub diesem himmlischen
König die Liebe, die er zu dir hat, sagte er ihnen, und zugleich: Leb aus diesem Geliebtsein; liebe auch du, den Menschen neben dir und Gott – du kannst es, Gott hat diese Fähigkeit in dich
hineingelegt! Leb jetzt schon, was dann einmal sein wird!
„Um des Himmelreiches willen“, das meint demnach: um des Gottesreiches willen, das auch jetzt schon da ist.
Ehelos sein kann man, wie Jesus selbst sagt (s. o.), aus vielerlei Gründen. Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen aber hat ein ganz eigenes Motiv. Das griechische Wort diá, das meistens mit
„um … willen“ übersetzt wird, bedeutet sowohl „darauf hin“ und „für“ wie auch „durch“, „auf Grund von“, „wegen“. Die Frauen und Männer, die in der Frühzeit des Christentums in – frei gewählter –
Ehelosigkeit lebten, auch diejenigen unter ihnen, die sich in die Wüste zurückzogen, blieben also ehelos wegen, auf Grund des schon jetzt erfahrenen Gottesreiches, und sie lebten dann ehelos für
das Gottesreich und auf das (vollendete) Gottesreich hin.
Zum Leitmotiv dieser Art ehelosen Lebens wurde ein Stichwort, das den Christen der Frühzeit schon aus der jüdischen Glaubenstradition vertraut war: Jungfräulichkeit. Es meint, wie wir im nächsten
Artikel noch näher sehen werden, weit mehr als sexuelle Unberührtheit. „Jungfräulichkeit“ im biblischen Sinne bedeutet vor allem Offenheit zu Gott und zum Mitmenschen hin – eine Grundhaltung, die
ein eheloses Leben durch das Gottesreich und für das Gottesreich überhaupt erst möglich und sinnerfüllend macht.
In dieser „jungfräulichen“ Grundhaltung wollten natürlich auch die anderen Christen leben, die Eheleute in den christlichen Gemeinden … Aber bleiben wir zunächst bei den ehelos lebenden Eremiten,
aus denen die heutigen Ordensleute hervorgegangen sind:
Weil die Liebe zu Gott immer die Liebe zu den Mitmenschen einschließt, führte die christliche Eremiten-Bewegung der ersten Jahrhunderte schon bald auch zu zönobitischen Lebensformen, zum ehelosen
Leben in Gemeinschaft. Klöster und Orden entstanden. Beim Eintritt in die Gemeinschaft legten die neuen Mitglieder die Profess ab (professio = Bekenntnis): das Bekenntnis zu ihrer von Gott
geschenkten Berufung. Mit der Profess wurde allmählich ein Gelöbnis verbunden, ein auch rechtlich verbindliches Gelübde gegenüber der Gemeinschaft. Noch bis ins 13. Jahrhundert hinein kannte man
vor allem das Gelübde der Ehelosigkeit und das Gelübde des Gemeinschaftslebens. In einigen sehr alten Orden, wie etwa im Orden der Benediktiner, ist das bis heute so.
Irgendwann im 11. oder 12. Jahrhundert taucht dann der Begriff „evangelische Räte“ auf. Er wurde jedoch bald auf drei evangelische Räte und speziell auf das Ordensleben eingegrenzt. Man sprach
jetzt von den Räten der Ehelosigkeit, der Armut und des Gehorsams. In den neuen Ordensformen, die zu dieser Zeit entstanden, in den Mendikanten- oder „Bettel“-orden vor allem, wurde es Brauch,
bei der Profess neben dem Gelübde der Ehelosigkeit auch die Gelübde der Armut und/oder des Gehorsams abzulegen, und ab der Mitte des 13. Jahrhunderts schließlich wurden diese drei Gelübde durch
päpstliche Erlässe für alle neu entstehenden Orden und ordensähnlichen Gemeinschaften – auch für den damals noch jungen Karmelitenorden zum Beispiel – verbindlich vorgeschrieben.
„Evangelische Räte“ – also doch ein Thema nur für Ordensleute? Für Christen jedenfalls, die zum „Rätestand“ oder, wie wir heute sagen, zum Stand des „gottgeweihten Lebens“ gehören?
Ja, ein Thema für Ordensleute, für Mitglieder der Säkularinstitute und für Christen, die in den vielen verschiedenen Formen „gottgeweihten Lebens“ Gelübde auf die „drei evangelischen Räte“
abgelegt haben; oder ablegen wollen. Aber nicht nur für sie.
Denn genau genommen sind die drei evangelischen Räte keine „Räte“, keine bloßen „Ratschläge“ oder Empfehlungen. „Angeraten“ ist – für die, die es „erfassen“ können (Mt 19,12; s. o.) – allein die
ehelose Lebensform. Doch was diese Lebensform zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen macht, sind drei Glaubenshaltungen und Lebenseinstellungen, die eher „Gebot“ als Ratschlag sind – und
zwar für jede Lebensform. Sie bilden die Grundlage für die Gelübde, auch für die Gelübde, und machen deren „Geist“, deren geistlichen Inhalt aus. Und sie sind ebenso Grundlage und Inhalt jeder
Art christlichen Lebens.
Obwohl auch ich ein Ordens-Christ bin, möchte ich in dieser Artikelreihe einmal nicht von den drei Ordensgelübden und vom spezifischen „gottgeweihten Leben“ sprechen, sondern von diesen drei
Glaubenshaltungen und Lebenseinstellungen, die Jesus allen ans Herz gelegt hat, die nach seinem Evangelium leben wollen:
- nicht von der Ehelosigkeit also, die immer die Berufung nur einiger Christen war und sein wird, sondern von der Haltung, die mit der Bibel Jungfräulichkeit genannt wird und die, wie gesagt,
weit mehr und viel Tieferes meint als unverheiratet sein und enthaltsam leben;
- nicht von der Besitzlosigkeit, die auch in den Orden ja immer nur begrenzt lebbar ist, sondern von der Armut im Heiligen Geist, die ein verheirateter Thomas Morus zum Beispiel, einer der
bestsituierten Männer seiner Zeit, genauso überzeugt und überzeugend lebte wie der buchstäblich arm gewordene und ehelose Franziskus von Assisi;
- nicht vom Gehorsam im Rahmen des Gemeinschaftslebens in den Orden, sondern von der Ge-Hörsamkeit Gott und den Mitmenschen gegenüber, wie Jesus sie für uns alle vorgelebt hat.
Um den Geist also soll es hier gehen, der hinter den Gelübden auf die drei evangelischen Räte steht. Von diesem Geist der evangelischen Räte hat auch das Zweite Vatikanische Konzil gesagt, dass
er das Leben jedes Christen prägen müsse. In der Dogmatischen Konstitution über die Kirche, einem der wichtigsten Texte des Konzils, wird deshalb nicht erst im Kapitel über die Ordensleute von
den evangelischen Räten gesprochen, sondern ausdrücklich bereits im Kapitel über die allen Christen „gemeinsame Berufung zur Heiligkeit in der Kirche“ (LG 39-42). Die Konzilsväter wollten dadurch
klarstellen, dass „die im Evangelium enthaltenen Räte Jesu … Gabe und Weisung an alle Christen (sind). Sie bringen den Geist zum Ausdruck, der die Kirche in all ihren Gliedern auf dem Weg der
vollkommenen Liebe zur Heiligkeit führen will“ – so zusammenfassend mein einstiger Kommilitone, der Erfurter Priester und Theologe Georg Jelich in seiner noch immer lesenswerten Studie
Kirchliches Ordensverständnis im Wandel (Leipzig 1983). Der Autor zitiert darin einen französischen Kardinal, der während der Beratungen zu diesem Konzilsdokument sagte, es sei „angemessen und
voll begründet, sich ins Gedächtnis zurückzurufen, dass im Evangelium die Räte vom Herrn nicht nur für die Ordensleute dargelegt sind. (Auch) Kleriker und Laien sind, obgleich sie sich nicht des
äußeren Standes und der Güter der Gelübde erfreuen, von Gott zur Praxis der evangelischen Räte gerufen.“
Heute rückt diese Sichtweise immer mehr ins Bewusstsein. So schreibt Anneliese Herzig, Ordensschwester, promovierte Theologin und über viele Jahre Mitarbeiterin in der „Arbeitsgruppe
Ordenstheologie“ der Deutschen Ordensoberenkonferenz, in ihrem Buch In der Spur Jesu (Tyrolia 2012): „Wer sich auf den Weg der Nachfolge macht – und zwar noch vor einer Entscheidung für eine
bestimmte Lebensform wie das Ordensleben oder die christliche Ehe –, der kann die ‚evangelischen Räte‘ nicht einfach ‚links liegen‘ lassen. Die konkreten Formen der Umsetzung richten sich dabei
nach der gewählten Lebensform.“
Seit über dreißig Jahren lebe ich in einem kleinen Konvent des Teresianischen Karmel. Unser Orden, hervorgegangen aus dem fast vierhundert Jahre älteren Stammorden des Karmel, wurde im 16.
Jahrhundert durch Teresa von Ávila und Johannes vom Kreuz gegründet. Auch diese beiden Kirchenlehrer der christlichen Spiritualität legten ihre Ordens-gelübde auf die drei evangelischen Räte ab,
so wie später Thérèse von Lisieux im 19. und Edith Stein im 20. Jahrhundert und wie alle Karmelitinnen und Karmeliten heute. Die Mitglieder der Laiengemeinschaft unseres Ordens (früher Terziaren,
heute Familiaren genannt) bekennen sich bei ihrer Profess ebenfalls zu den drei evangelischen Räten, jedoch nicht zu einem Leben in Ehelosigkeit, Besitzlosigkeit und Ordensgehorsam, sondern zu
einem Leben „im Geist der evangelischen Räte“. – Ob also als ehelos Lebende in den Klöstern oder als Verheiratete, Ledige, Geschiedene und Verwitwete in der Laiengemeinschaft: Der Geist der drei
evangelischen Räte ist uns gemeinsam.
Nicht, dass wir diesem Geist vollkommen entsprechen könnten – er bleibt uns immer eine Nummer zu groß. Aber eines ist auch mir im Laufe meines Ordenslebens zur Gewissheit geworden: Der Geist der
drei evangelischen Räte ist unverzichtbar für das christliche Glaubensleben. Für das Glaubensleben eines jeden Christen.
Jungfräulichkeit, Armut im Heiligen Geist und Gehörsamkeit sind Grundhaltungen und Lebenseinstellungen, durch die einst aus den Jüngerinnen und Jüngern Jesu die Kirche wurde. Durch diese
Glaubenshaltungen – gelebt von Ordensleuten wie von Laien-Christen und Klerikern – hat sich die Kirche dann im Laufe der Jahrhunderte immer wieder erneuert, durch sie hat sie in den
geschichtlichen Verirrungen und Verweltlichungen immer wieder zu einem Neuanfang aus dem Geist des Evangeliums gefunden. Sie sind auch heute die entscheidende Voraussetzung, um unser Christsein
lebendig und authentisch leben zu können, mitten unter Gottes Menschen.
[Auszug aus: KARMELimpulse 4/2015, mit freundl. Genehmigung der Redaktion. - Eine Fortsetzung und ausführlichere Darstellung finden Sie in dem neuen Buch des Autors: Reinhard Körner, Himmelreich
leben. Die evangelischen Räte – für alle Christen, St. Benno-Verlag Leipzig, Januar 2015 (7,95 Euro), www.sankt-benno.de]
Zum Beginn des neuen Kirchenjahres gab uns M. Bernarda am Vorabend des 1. Advent die Jahreslosung: „Ich bin da – immer und überall. Ich bin da – wirklich und ganz da.“ Dies ist
eine freie (und erweiterte) Übersetzung von Vers 14 im dritten Kapitel des Buches Exodus. In der Offenbarung Seines Namens drückt Gott Sein tiefstes Wesen aus, Sein Dasein-für. Das gilt allen
Menschen, die Er erschaffen hat, das gilt uns ganz persönlich.
Am Samstag vor dem 3. Advent feierten wir den Jahrestag der Weihe von M. Bernarda zur Äbtissin unserer Gemeinschaft. Dompropst Dr. Michael Bär war unserer Einladung gefolgt und
fungierte als Hauptzelebrant in der Heiligen Messe am Vormittag. Er hielt uns nicht nur eine lebhafte Predigt über die Bedeutung des Lichtes (13.12. = Gedenktag der hl. Lucia), sondern erzählte
beim anschließenden Zusammensein auch noch sehr interessant von seinen Aufgaben als bischöflicher Beauftragter und Caritasvorstand in Passau. Nach wie vor nicht abgeschlossen sind die Maßnahmen
zur Behebung der Flutschäden vom Juni 2013, wenn auch in der öffentlichen Wahrnehmung derzeit Kriegsflüchtlinge und Asylsuchende ganz oben rangieren. Hier engagiert sich der Caritasverband vor
allem mit Integrationsarbeit, die auch viel mit dem Abbau von Ängsten und Vorurteilen zu tun hat.
In der Gratulationsfeier am Nachmittag griffen wir das neue Jahresmotto auf. Das Bild „Der brennende Dornbusch“ des bekannten Priesters und Malers Sieger Köder bot dazu reichlich Stoff, enthält
es doch bei näherem Zusehen gleich drei Bildebenen: Die erste, vordergründigste ist das Geschehen in der Wüste: Gott offenbart Mose seinen Namen. Sodann lässt das Feuer, das in vier Zacken
auflodert, von der Form her an eine Krone denken, an die Dornenkrone Christi: Sein Erlösertod am Kreuz ist die Selbstoffenbarung Gottes im Neuen Bund. Und schließlich können wir an das
Pfingstereignis denken: Der Geist kam herab wie Feuerzungen.
Den Weihnachtsfestkreis begingen wir in der gewohnten Weise mit einer Liturgie, die geprägt ist vom Reichtum der Schrifttexte und von den zeitlos schönen Melodien des
gregorianischen Chorals.
Am 17. Januar wurde unsere Oblatin Elisabeth Hofbauer im Alter von 81 Jahren von Gott in Seinen ewigen Frieden heimgerufen. Seit ihrer Zeit als Lehrerin in Pocking war sie uns
treu verbunden und kam immer wieder, solange es ihre Gesundheit zuließ. Wir bewahren ihr in Dankbarkeit ein ehrendes Andenken. R.i.p.!
Am 23.1. und am 6. Februar durften wir eine große Schar von Firmlingen aus unserem Pfarrverband bei uns begrüßen. Auch einige Eltern schlossen sich dem Rundgang
an.
Am Sonntag danach freuten wir uns, junge Ministrantinnnen und Ministranten der Tettenweiser Pfarrgemeinde bei uns zum Dienst am Altar begrüßen zu können. Sie fanden es – von der frühen Uhrzeit
einmal abgesehen – „im Kloster gar nicht so schlimm“ und haben vor, uns von jetzt an mit in ihren Dienstplan einzubeziehen. Wir danken für diese Bereitschaft, vor allem auch Herrn Kaplan
Steinberger, der den Kontakt hergestellt und die ersten Schritte veranlasst hat!
In den ersten Wochen dieses noch jungen Jahres 2015 wurde eine für unsere Gemeinschaft erhebliche Veränderung vorbereitet. Sie geht aus von einer Bitte, die Jugendamt (Landratsamt Passau) und
Kreis-Caritasverband gemeinsam an uns richteten. Man war dringend auf der Suche nach Unterkünften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Sie wissen davon aus der Presse. Und Sie können sich
vorstellen – da die Balkan-Fluchtroute in unserem Landkreis ankommt -, dass die Behörden hier mit dem enorm angewachsenen Flüchtlingsstrom sehr gefordert sind. Darum suchte man von Seiten des
Jugendamtes, das für die Inobhutnahme der minderjährigen Flüchtlinge zuständig ist, die Zusammenarbeit mit dem Kreis-Caritasverband. Nur gemeinsam sieht man sich in der Lage, diese anspruchsvolle
Aufgabe zu meistern. Schließlich ist es nicht nur der Umfang, sondern auch der Zeitdruck, der alles so schwierig macht. Es geht ja hier nicht um Probleme, die man besprechen muss und deren Lösung
man ggf. vertagen kann. Es geht um Schicksale von jungen Menschen. Darum war für uns rasch klar, dass wir hier nicht nein sagen können, dass wir uns nicht verschließen dürfen, zumal unser
Gästehaus gerade leer stand („Winterpause“ Dezember und Januar) und außer bei großen Gruppen auch vorher nie voll belegt war. So kamen wir mit den Verantwortlichen des Projektes überein, dass
mehrere Zimmer, der Aufenthaltsraum, die Teeküche und der Vortragssaal (für den Deutschunterricht) angemietet und als ‘Inobhutnahmestelle‘ eingerichtet werden. Da diese offizielle Bezeichnung
etwas sperrig ist, waren wir eingeladen, nach einem anderen Namen zu suchen. Wir einigten uns auf ‘Haus PAX‘: Im Hinblick auf die jungen Menschen, die Krieg erlebt und erlitten haben und sich
nach Frieden sehnen. Und im Hinblick auf unsere benediktinische Spiritualität, die dem Frieden der Seele, dem Frieden untereinander und dem Frieden mit Gott einen sehr hohen Stellenwert einräumt.
Nicht zuletzt findet sich das Wort PAX in unserem Klosterwappen.
Dieses Projekt ist für uns alle Neuland. Es fehlt an Erfahrungen, es fehlt an Planungssicherheit; alle Beteiligten versuchen nach bestem Wissen und Gewissen die Situation erträglich zu machen. Wo
wir in einigen Monaten stehen, weiß niemand. Und dennoch wissen wir uns auf diesen Weg gewiesen und vertrauen darauf, dass Gott uns Schritt für Schritt weiterführt. Dabei müssen wir sorgfältig
Hörende bleiben, hörend auf das Wort Gottes, auf die Botschaft der Ereignisse, auf einander. Gerade das dürfen wir in diesen turbulenten Wochen dankbar erfahren: Selten werden Entscheidungen bei
uns in einer solchen Einmütigkeit getroffen, wie in diesem Zusammenhang.
Was heißt das nun für unseren Gäste-Betrieb: Gruppen werden wir in diesem Jahr sicher nicht mehr aufnehmen können, Einzelgäste in sehr beschränktem Umfang. Es stehen uns ja nach wie vor Zimmer im
Haus St. Benedikt zur Verfügung. Das ist der Bau aus den 80er Jahren, der zwischen unserem Gründungsgebäude und dem Klosteraltbau steht. Vom Klosterhof aus gesehen beherbergt er im Erdgeschoss
linker Hand die Krippen-Gruppe unseres Kindergartens und rechter Hand die Steppdeckennäherei. Im ersten Stock ist der Klostersaal, den einige von Ihnen von den Jahresversammlungen des
Herz-Jesu-Hilfsvereins her kennen. Hier wird Sr. Paula auch in Zukunft ihre Vorträge zum Thema Patientenverfügung halten.
Von 12. bis 16.2. finden die Jahresexerzitien unseres Konventes statt. Durch die Tage der Stille und geistlichen Einkehr begleitet uns Pater Dr. Josef Weber, Salesianer Don Boscos, Dozent für
Christliche Spiritualität und Biblische Theologie an den beiden Hochschulen im Kloster Benediktbeuern. Er behandelt ausgewählte Perikopen des Johannes-Evangeliums. Eindrücke dieser Tage möchten
wir gerne im nächsten Gertrudis-Boten mit Ihnen teilen!
Zum Jahr der Orden können wir mit unseren geringen Kräften nichts besonderes anbieten. Wir haben aber schon in der Pfarrgemeinde darauf hingewiesen und tun es hier noch einmal, dass unsere
Gebetszeiten immer auch für alle Interessierten zugänglich sind.
Liebe Angehörige, liebe Vereinsmitglieder, Wohltäter und Freunde unserer Abtei, liebe Schwestern und Brüder,
Wie Sie gelesen haben, begann das neue Jahr ziemlich turbulent. Inmitten dieser Brüche und Umbrüche dürfen wir erfahren: „Ich bin da – immer und überall“. Z.Zt. Findet in Passau eine
Ausstellung statt von Jehudi Bacon. Mit 13 Jahren wurde er nach Auschwitz deportiert, hat dort seine ganze Familie verloren. Mit Malen versuchte er die schrecklichen Erleb-nisse zu verarbeiten.
Er überlebte und kam schließlich mit anderen Jugendlichen ins tschechische Zwierzyn in die „Schlösser der Hoffnung“. Es herrschte dort eine Atmosphäre der Liebe, die langsam die Wunden heilte. –
„Schlösser der Liebe“ brauchen wir auch heute wieder ganz notwendig für alle Heimatlosen in jeglicher Hinsicht.
Die diesjährige Misereor-Aktion steht unter dem Leitwort „Neu denken - Veränderung wagen“ Wir stehen – auch als Gemeinschaft – mitten in diesem Prozess und bitten Sie um Ihr Gebet, dass wir
Hörende sind und furchtlos den uns gewiesenen Weg gehen.
Am Beginn dieses Jahres möchte ich Ihnen wieder ein herzliches Vergelt´s Gott sagen für Ihre Treue, Ihr Interesse, für Ihre Unterstützung, besonders für Ihr Gebet für unseren Konvent.
Benediktinerinnenabtei St. Gertrud
Hauptstrasse 2
D-94167 Tettenweis
Telefon 08534/9690-100
E-Mail: verwaltung@sankt-gertrud.de
Internet: www.sankt-gertrud.de